Vor unserem Predigttext aus Hebräer 13 lese ich die vorausgehenden Verse 1-7:

Haltet fest an der geschwisterlichen Liebe. Vergesst nicht die Gastfreundschaft, denn durch sie haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.
Gedenkt der Gefangenen. Haltet eure ehelichen Beziehungen in Ehren. Führt ein Leben ohne Geldgier. Begnügt euch mit dem Vorhandenen, denn Gott hat uns zugesagt: „Ich werde dich nicht aufgeben und ich werde dich nicht verlassen“.
Daher sagen wir zuversichtlich: „Gott hilft mir, ich werde mich nicht fürchten. Was können mir Menschen antun?“ Denkt an eure Lehrer, die euch … das Wort Gottes zugesprochen haben und … ahmt ihr Gottvertrauen nach.

Und nun folgt der eigentliche Predigttext Hebräer 13,8-9b

Jesus Christus, gestern und heute. Er ist auch noch derselbe in Ewigkeit.
Lasst euch nicht durch gekünstelte und fremde Lehren von Jesus abbringen, denn es ist gut, wenn das Herz durch Zuneigung fest wird.

Liebe Gemeinde,

seit einem reichlichen Jahr leben wir so nah an einem Fluss wie nie zuvor. Vom Wohnzimmer aus sehen wir die Elbe. Tagaus, tagein fließt sie dahin. Mal mit mehr Wasser, mal mit weniger. Auf dem Weg in Richtung Nordsee.
Ein Jahr lang konnte ich dieses Fließen beobachten. An sonnigen und trüben Tagen. Mit hohem Wasserstand im Frühling. Bei großer Dürre, als kein Dampfer mehr bis nach Pillnitz kam im Sommer. Aber auch an stürmischen Tagen, wenn abgefallene Äste und anderes mitgerissen wurden.
Ähnlich einem Fluss fließt die Zeit dahin. Aus Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen und Monaten wurde wieder ein Jahr. 2019. Silvester bildet im Fluss der Zeit sozusagen eine Staustufe. Wir blicken zurück und vergewissern uns über eben diesen Abschnitt des vergangenen Jahres. Am Jahresende fragen sich viele Menschen: Was hat es mir gebracht an Gutem und an Schwerem? Was ist mir gelungen, geglückt, was nicht?
Wo wurde ich bewahrt? Wofür bin ich dankbar?

Auch innerhalb der Kirchgemeinde Hosterwitz-Pillnitz blicken wir auf viele erfüllte Momente in unseren Gottesdiensten, Gruppen und Kreisen zurück. Auf geteilte Freude und geteiltes Leid. Auf die ephorale Visitation im März, die Wiederaufnahme der Nagelkreuzandachten, aber auch auf mühsame Strukturverhandlungen, auf unsere Kontaktaufnahme zu den 3 Gemeinden im Hochland in Bühlau, Weißer Hirsch und Schönfeld-Weißig, auf unseren Ausflug mit 80 Menschen in die Goldene Stadt, auf die großartige Fertigstellung des Projektes „Eine Orgel für Brenna“ mit den wunderbaren Begegnungen dort, auf das Weihnachtsoratorium in der Weinbergkirche und vieles mehr.

Daneben stehen die gesellschaftlichen Rückblicke aller Art. Nur wenige Stichworte möchte ich nennen: Die große Wasserknappheit in Dresden, der Klimawandel in aller Munde, von der Fridays for Future-Bewegung bis zur Klimakonferenz; außerdem die Wahlen in Sachsen und die erste „Kenia“-Koalition.
Ein Gespräch im Auto ging mir nach. Am Sonntag brachten wir 2 Familienmitglieder an den Hauptbahnhof. Zu viert überlegten wir: war das Jahr 2019 eher ein gutes oder ein schwieriges Jahr? Auf die große Weltlage geblickt, wirkt manches ernüchternd. Verbunden mit Ohnmachtsgefühlen. Manche Ansätze wecken aber auch starke Hoffnung.

Der Hebräerbrief passt zu dieser Suche nach Vergewisserung. Er richtet sich an verstörte Gemeinden am Ende des ersten Jahrhunderts. Dabei spricht er von „mancherlei fremden und falschen Lehren“, die die Leute durcheinander bringen.
Parallelen tun sich auf: Soziologen beschreiben unsere Zeit als stark verunsichert. In vielen Bereichen schwindet das vertraute Alte. Was gesellschaftlich in unserer Kindheit und Jugend galt, gilt längst nicht mehr. Was danach kam, überzeugte nur zum Teil und nicht alle.
Was trägt denn? Welches soziale Modell sollte die Zukunft bestimmen?
Wie sicher und stabil ist die Demokratie?

Vertrautes schwindet auch in der Kirche. Größere Gebilde entstehen mit neuen Zentren, Zugehörigkeiten und Wegen. Diese Veränderungen machen vielen Menschen Angst.
Angst vor Vereinzelung und Verlorenheit in der Fläche. –
Dabei erleben wir schon seit längerem eine schwindende Bedeutung der Kirche.
Werden unsere Kinder die Verbindung zur Kirche behalten? Wie lässt sich weitergeben, was uns selbst am Glauben wichtig war und ist?
Dazu treten massive Angriffe von außen. Kräfte, die ein „christliches Abendland“ ohne christliche Werte aufrichten wollen – ohne Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Ich sehe gerade in solchen Stimmen gefährliche Lehren, die wegführen vom christlichen Glauben.

Wenn so viel wackelt – gesellschaftlich und kirchlich – ist es nicht selbstverständlich, gelassen zu bleiben.
„Angst. Eine deutsche Gefühlslage“ heißt eine Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig, die noch bis Mai 2020 zu sehen ist. Sie geht den Phänomenen der Angst nach, die kollektiv seit Jahren gewachsen sind (nach außen z.B. sichtbar an der Zunahme der Kleinen Waffenscheine).
Das alles beschränkt sich nicht auf Deutschland. Der Historiker Frank Bless sagte „Weder Form noch Inhalt dieser Ängste sind spezifisch deutsch. Gleichwohl zeugt die im Vergleich zu anderen Ländern größere emotionale Intensität der Angstkonjunkturen in Deutschland vom Nachhall extremer Gewalt- und Zusammenbruchserfahrungen im 20. Jahrhundert.“

Auch für den Verfasser des Hebräerbriefes waren es stürmische Zeiten. Dabei war die reale Bedrohung deutlich größer als unsere. Es ging zunehmend um Leben und Tod für die, die sich als Christen bekannten. Viele hielten diesem Druck nicht stand. Der Hebr. verweist als stärksten Gegenpol gegen die Angst auf Jesus Christus. Mit der Formel: gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Er weist auf Jesus Christus als Anker in der Zeit.
Jesus Christus – gestern: von der Geburt Jesu kommen wir her. Von Jesus her bezog die Kirche jenen kraftvollen Geist von Vertrauen, Liebe und Hoffnung.
Jesus Christus heute. „Ich bin bei euch alle Tage!“ sagte Jesus. Er ist dabei, wenn wir uns im Fluss der Zeit persönlich, gemeindlich und gesellschaftlich um den richtigen Kurs bemühen.
Jesus Christus auch morgen. Besser noch als ein Anker: Er sitzt selbst mit uns im Boot. Bei unserem Flehen um Erlösung von schwerer Krankheit. Bei unserem Ringen um tragfähige und faire Strukturen in der Gemeindearbeit. Bei unserem Mühen um den Schutz der Erde und unseres Lebensraumes.
Jesus sitzt mit im Boot. Und manchmal höre ich ihn sagen – wie in der Geschichte von der Sturmstillung: „Oh, ihr Kleingläubigen, was seid ihr so furchtsam!“
Zugleich verweist der Verfasser auf uns selbst. „Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade“, übersetzte Martin Luther. Ein festes Herz ist etwas Wunderbares. Ein Herz, das stark bleibt trotz aller Wirren und Sorgen. –
Nicht gemeint ist ein kaltes oder starres Herz. Keins, das sich stark fühlt, wenn es andere abwertet oder lächerlich macht. Keins, das sich mithilfe von Hassmails oder verbaler Gewalt Luft verschafft.
Ein festes Herz nimmt offen und neugierig am Leben teil, einfühlsam und lebendig.

Wieder denke ich an unser Gespräch im Auto: Ja, manches ist schon zum Bangewerden. Machthaber, die ihre Macht schamlos ausnutzen. Die lügen, ohne rot zu werden, und trotzdem wieder gewählt werden. Staaten, die in der Abschottung von den anderen Ländern die Lösung suchen.
Ebenso die große Kluft zwischen arm und reich im eigenen Land, erst recht weltweit. Die gefühlte Ohnmacht angesichts solcher Tatbestände. Das Fehlen von großen Visionen für Europa, für die Welt…
Wir einigten uns im Auto auf die nüchterne Erkenntnis: Wenn ich möchte, dass sich etwas ändert, sollte ich bei mir selbst beginnen. Und – christlich gesprochen – in guter Verbindung bleiben mit dem Anker und Steuermann Jesus Christus.
Wie das aussehen kann, lese ich in den Versen vor unserem Predigttext.
Obwohl vor 2000 Jahren formuliert, finde ich sie hoch aktuell:

1) Haltet an der Liebe fest!

Bei all dem Hass. Inmitten unserer Empörungsgesellschaft. Wir haben etwas anderes einzubringen. In Rückbindung an den Steuermann und sein höchstes Gebot, haben wir der Welt einen großen Schatz zu geben: die Liebe. (Wer in einer Liebesbeziehung steht, weiß: das bedeutet neben aller Romantik oft vor allem sehr nüchtern: in Respekt beieinander bleiben auch bei großen Unterschieden…)

2) Übt Gastfreundschaft

Gastfreundschaft erlebten wir in Brenna-Gorki mit wunderbaren Kuchen und Suppen und möchten dies im neuen Jahr erwidern. Gastfreundlich leben – mit Verwandten, Freunden und Fremden… ist ein Zeichen der Christen. Wir selbst sind Gäste auf der Erde, diesem schönen gefährdeten blauen Planeten, 2020 bietet vielfach Gelegenheit dazu

3) Lebt genügsam

Mit dem Klimawandel ist vieles in den Blick geraten.
Nicht nur die Fernstreckenflüge mit ihrem enormen CO2- Ausstoß. Auch die Endlichkeit der Ressourcen, ein verantwortlicher Umgang mit Nahrungsmitteln, mit Energie,
„Lebt genügsam“ verstehe ich nicht als sauertöpfisches Gebot, eher als kluge Regel, nicht mehr zu verbrauchen, als wir selbst geben können.

„ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde“ … übersetzte Martin Luther.
Interessanterweise heißt es im Urtext: „Es ist gut, das Herz fest zu machen.“ – also dabei aktiv zu sein. Fast wie eine überlebenswichtige Aufgabe. Sie passt zum Übergang ins neue Jahr. Es wird wichtig werden, unsere Herzen fest zu machen für das, was auf uns zukommt.
Tun wir es im Sinne Jesu, liebe Gemeinde!
Halten wir die Liebe hoch, die Gastfreundschaft und das bewusste einfache Leben. „Das Wenige, das du tun kannst, ist viel!“ Und wo uns dies geschenkt wird, ist es Gnade.

Amen