Sonntag Kantate 2020

Die Einweihung des Tempels

2 Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. 3 Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist. 4 Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf 5 und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war.

12 und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen einhundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. 13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, 14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

Liebe Gemeinde,

Julia hatte die letzte Nacht wenig geschlafen. Sie war ziemlich aufgeregt. Dabei gab es eigent­lich keinen Grund. Sie war schon ein paar Jahre in der Kur­ren­de, war im Schulchor und hatte schon vor anderen Menschen gesungen. Im Sommer hatte ihre Kantorin sie gefragt, ob Sie Lust hätte beim Weihnachts­oratorium mitzusingen. Sie würde gern die Älteren aus der Kur­ren­de bei einigen Stücken mitsingen lassen. Das war natürlich eine ganz andere Nummer. Klar kannte sie das WO, wie es ihre Eltern mit bildungs­bürger­licher Lässigkeit nannten, aber das war doch etwas für die Profi-Chöre. Julia konnte sich das kaum vorstellen, sagte aber Ja. Schon die Proben waren etwas Besonderes. Auf einmal inmitten eines erwachsenen Chores stehen. Die schauten zwar alle freundlich, aber die Sorge falsch zu singen war groß und mach­te die Sache anstrengend. Und dann kam noch das Orchester dazu. Die Kantorin konnte sich jetzt nicht mehr um „ihre“ Kurrende kümmern. Sie musste alle im Blick behalten. Julia merkte aber auch, wie ihr die Melodien eingingen und in der Schule und zu Hause immer wieder un­will­kür­lich auftauchten und sie fröhlich stimmten. Und dann kam der Abend der Aufführung. Die übliche Unruhe vor dem Auftritt, die Aufstellung des Chores, das Geläut der Glocken, dieser unglaubliche Moment der Stille und dann die Bläser, Kesselpauken, Querflöten, Streicher und „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage.“ Ihre eigene Stimme wurde von einer Welle des Klangs emporgehoben, wuchs weit über sie hinaus, erfüllte die Kirche mit einer Klangwolke, die förmlich auf sie zurückfiel. Das war eine wunderbare Erfahrung – Teil dieser geradezu himmlischen Musik zu sein.

Liebe Gemeinde,

es war ein gewaltiges Projekt, der Bau eines Tempels in der Stadt Jerusalem. Nicht nur, was die Architektur anbetraf, die Materialien, die Handwerkskunst, auch logistisch und ökonomisch. Die Israeliten, das war ja nicht mehr als ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher Stämme, die gerade erst mehr oder weniger sesshaft geworden waren. Man lebte in Zelten, in ein­stöcki­gen Lehm­häusern und nur in den wenigen kleinen Städten gab es Gebäude aus Stein. Auch Gottes heilige Gegenwart war sozusagen unterwegs in einer Lade, einer Truhe, in der sich die Gebotstexte als Ausdruck des Bundes zwischen Gott und dem Volk befanden. Sie stand im Zelt der Begegnung und später hatte man eine kleine Hütte für sie gebaut. Nun sollte es ein Tempel werden, angemessen groß, alle anderen Bauwerke überragend, als Ort für die Heiligkeit Gottes. Aber die entscheidende Frage war: Würde Gott dort einziehen? Würde er Wohnung nehmen an dem Ort, den man ihm unter Aufbietung aller Kraft und Handwerkskunst geschaffen hatte? Würde er sich bei der Einweihung wirksam zeigen?
Der Bericht, den wir in den Chronikbüchern finden, beschreibt uns zwei Wunder, die für die Menschen deutliche Zeichen der Zuwendung Gottes waren.

(1) Es ist die Erfahrung, dass Musik und Gesang zu einem Ganzen zusammenfinden. Die unterschiedlichen Instrumente und Stimmen sind vielfältig und werden doch als ein ge­mein­sa­mer Klang wahrgenommen. Das ist die Möglichkeit von Musik, aber Gott ist das Geheimnis des Gelingens. In der Gegenwart Gottes entsteht aus vielen Stimmen die eine Stimme. So zeigt sich seine Herrlichkeit.

(2) Und es gibt ein zweites Zeichen; eine Wolke wird beschrieben, ein Nebel, der sich im Raum ausbreitet und die Sicht einschränkt. So zeigt sich Gott kraftvoll und entzieht sich zugleich den Blicken, entzieht sich der Eindeutigkeit und der Verfügbarkeit, spürbar und doch unergründlich. Er unterbricht die menschliche Inszenierung seiner Gegenwart.

Was berührt mich an dieser Geschichte, an den Bildern, die sie trägt.

(1) Das ist die eine Stimme. Ich sehne mich manchmal danach, dass es uns als Gemeinde und als Kirche gelingt, mit einer Stimme zu sprechen. Und das ist keine Uniformität, kein Gleich­klang, sondern, wie bei jedem musikalischen Werk, dass aus unterschiedlichen Stimmen die eine Musik entsteht, die mehr ist als die Summe ihrer Teile, eine höhere Einheit, die etwas Geschenktes ist, die Gott gelingen lässt.

(2) Es ist der beschriebene Nebel. Er unterbricht die menschliche Inszenierung. Er ist ein Bild für die Undurchschaubarkeit Gottes, macht sein unfassbares Geheimnis deutlich. Ich aber seh­ne mich doch nach Eindeutigkeit, möchte klare Antworten auf meine Fragen, nicht nur zu Gott, auch zu meinem Leben, in vielem Dingen. Ich möchte hören, dass es so ist und nicht an­ders. Aber Gott bleibt ein Geheimnis. Es gibt keine Eindeutigkeit. Das ist nicht leicht auszuhalten, nicht im Glauben und nicht im Leben.

(3) Und dann ist da der Ort dieser Geschichte, der Tempel, ein Haus für die Gegenwart Gottes. Nun lässt sich nicht einfach eine ungebrochene Linie vom Jerusalemer Tempel zur Schifferkirche in Hosterwitz ziehen. Vielleicht sind wir als Protestanten ja auch ein wenig nüchterner beim Thema der Heiligkeit. Und doch ist unsere Kirche ein besonderer Ort. Wir haben ihn reserviert für die Ruhe und die Verständigung mit Gott. Ein Ort an dem sich unser Leben mit dem Segen Gottes verbindet. Wir haben ihn reserviert als einen Ort, an dem es Wichtigeres gibt als nur uns selbst, als einen Ort, an dem unsere Gemeinschaft wichtiger ist als unsere Unterschiede und, ja, auch unsere Konflikte.

Das ist für mich das Gottesereignis, dass wir in seiner Gegenwart zu einer Stimme finden, die uns aufhebt und voller Vertrauen durch ein unsicheres Leben trägt.

Und der Friede Gottes, der größer ist als alle unsere Vernunft, der halte unseren Verstand wach, der bewahre unsere Hoffnung und stärke unsere Liebe durch Jesus Christus. AMEN.


Es gilt das gesprochene Wort.