Sonntag Okuli 2020

Der Text für den Sonntag Okuli steht bei Lukas im 9. Kapitel:

Und als sie auf dem Weg waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem anderen: Folge mir nach!
Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkündige das Reich Gottes!
Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind.
Jesus aber sprach zu ihm: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Liebe Gemeinde,

„Glauben im Ernstfall“ könnten wir als Motto über den heutigen Predigttext setzen.
Für Jesus wird es ernst. Nach 2 Jahren voller Leben. Voller Aufbrüchen und Hoffnungen. Doch nun hat er sich entschieden. Er wird nach Jerusalem gehen. Und seine Leute mitnehmen. Soweit sie wollen. Und vermögen.
So klar wie möglich will er diesen Weg gehen. Und weitergeben, was ihm von Gott bewusst geworden ist. Loslassen statt raffen, achtsam miteinander umgehen, nicht gewalttätig, lieben statt hassen.
Es wird ernst. Jesus ahnt, dass sich in Jerusalem so manches zusammenbraut.
Die, die ihn lieber tot als lebendig sähen, tun sich zusammen, suchen nach falschen Zeugen. Und nach Fallen, die sie ihm stellen könnten. Und dennoch: Jesus spürt Gottes Ruf bei dieser Entscheidung. Dieser Weg verlangt volle Konzentration. Jetzt mit nichts verzetteln, was ihn und seine Schar vom Eigentlichen abhalten könnte.
„Folge mir nach – lass alles los, was dich hindern könnte!“ Familiäre Bindungen, vertraute Rituale und Strukturen. – Jetzt noch einmal zeigen, wie Gott sich Menschsein gedacht hat. Selbst im Angesicht von Krise, Gefahr und Tod.

Szenenwechsel zu uns hin: Es wird ernst. In dieser Woche jagte nicht nur in Sachsen eine Krisensitzung die andere. Eilmeldung folgte auf Eilmeldung. Ständig konnte man die neusten Zahlen der Corona-Epidemie abrufen. Der gewählte Landesbischof und der Präsident des Landeskirchenamtes äußerten sich zum Umgang mit Corona. Schulen schließen, Konzerte werden abgesagt, das öffentliche Leben eingeschränkt.
Auf einmal gelten völlig neue Vorzeichen. Auf Krisenmodus geschaltet. Keine Klassenfahrten bis zum Sommer. Besuche von Enkeln bei den Großeltern sollen unterbleiben usw. Es wird ernst.
Alle Energie wird darauf verwendet, Ansteckungsketten zu verhindern

Schwenk zurück in die Zeit Jesu. Zum harten Weg Jesu nach Jerusalem. Er ging ihn bewusst. Mitten hinein ins Krisenzentrum. Gefangen genommen, gefoltert, gekreuzigt.
Nur wenige hielten bei Jesus aus. Zu schwer, diese Nachfolge.

50 Jahre später schreibt Lukas sein Evangelium. Die radikalen Jesus-Worte baut er ein.
Die Dialoge vom Loslassen und Nachfolgen. Zwar ist seine Zeit weniger radikal. Die Christen ziehen nicht mehr umher wie die Jesus-Leute, die Haus und Familie hinter sich gelassen hatten. Sie wohnen in festen Häusern und gehören zu wachsenden Gemeinden.
Und doch nimmt Lukas das Textstück auf. Denn auch um das Jahr 80 hat es Konsequenzen, Jesus zu folgen. Manche haben dafür mit ihrer Familie gebrochen oder mit ihrem Götterkult. Dafür ernten sie schräge Blicke, feindselige Worte, Hasskommentare. Unbehaustsein. Auch der Zweifel plagt sie: worauf habe ich mich da eingelassen? – Christlicher Glaube im Ernstfall.
Und so baut Lukas besonders das Bildwort vom Pflügen sorgfältig ein. „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, ist nicht gemacht für das Reich Gottes!“
Wer einmal ansetzt und sich beim Pflügen umdreht, riskiert eine wacklige Furche und ein schlechtes Einpflügen der alten Pflanzen. Der Boden würde für das Säen ungenügend vorbereitet. –
Lukas entwirft sein Evangelium auf Zukunft hin.
Nur mit dem klaren Blick nach vorn kann das Neue gut vorbereitet werden.

Liebe Gemeinde,
Glauben im Ernstfall – wie gelingt uns das? Auch unser Glaube wird gerade auf starke Bewährungsproben gestellt. 3 Stichworte möchte ich nennen:

1) Unsere Kirchgemeinden werden kleiner.
Seit Jahrzehnten schon. Strukturveränderungen und Stellenkürzungen sind die Folgen. Früher oder später müssen alle sächsischen Gemeinden Stellenprozente abgeben. Sich von manchem trennen. Von liebgewordenen Traditionen. Von Gottesdiensten. Von hauptamtlich Mitarbeitenden. Das schmerzt. Glauben im Ernstfall.
Jesus: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück…“
Der sehnsüchtig-nostalgische Blick zurück hält uns im Gestern gefangen. Wenn davon unsere Kraft gebunden wird, ist sie nicht frei für das Hier und Jetzt. Für neue Strukturen, die Kräfte tatsächlich freisetzen. Für Projekte, die Spaß machen. Für einen frischen Geist.

2) Glauben in Zeiten des Coronavirus.
Epidemien kannten wir in Deutschland kaum mehr. Und nun: einem unbekannten Virus ausgeliefert, gegen das es noch keinen Impfstoff gibt. Vermeintliche Sicherheiten brechen weg: dass wir wissenschaftlich, wirtschaftlich und politisch die Dinge in der Hand haben. Dass wir gegen jede Krankheit ein Mittel haben. Dass wir unsere Krisen beherrschen können.
Nun eine Pandemie. Noch unbeherrscht. Das Virus führt uns unsere Ohnmacht vor Augen.
Was trägt uns, wenn uns diese Sicherheiten wegfallen?
Derartige Sicherheiten hatten Jesus und seine Leute viel weniger als wir.
„Die Füchse haben Höhlen…, aber des Menschen Sohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“.
Gefühle des Unbehaustseins stecken in dem alten Jesuswort.
Letzte Sicherheiten haben wir nicht. Trotz Familie, Traditionen, Heimat.
Aber gleichzeitig gewinnen wir im Glauben eine neue Weggemeinschaft. Unterwegs zum Reich Gottes. Unterwegs mit anderen, die in Jesu Spuren gehen. Die pflügen und ackern im Sinne Gottes. Die sich an die Seite der Leidenden und Entrechteten stellen.
Die nüchtern darauf sehen, was zu tun ist!
Das Wenige, was du tun kannst, ist viel. Auch unter uns:

3) Glauben im Angesicht des Todes.

Die Zahlen schwanken: zwischen 60 % und 80 % der Bevölkerung in Deutschland werden sich wohl im Laufe der nächsten 2 Jahre an diesem Virus anstecken. Auch wenn die meisten Verläufe harmlos sind: Wir werden Menschen zu betrauern haben, vielleicht in den eigenen Familien.
Lange schwebte weder Kriegs- noch Epidemiegefahr mit tödlichen Folgen über Deutschland. Nun doch. Sie führt uns vor Augen, wie fragil unser Leben ist. Gefährdet und zerbrechlich. Wir sind sterbliche Wesen. Was trägt uns angesichts dieses Wissens? …
Nein, auf das Jenseits vertrösten möchte ich nicht. Hoffentlich werden so viel wie möglich Menschenleben gerettet. Und doch ist die christliche Hoffnung einer der Schätze unseres Glaubens. Hinter der Pforte des Todes jene andere Welt Gottes zu erwarten.
In Gottes Hände auch die übergeben zu dürfen, die wir möglicherweise verlieren werden.
Uns selbst mit der eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen, ist nie umsonst.
Jesus ist bewusst in die Krise hineingegangen, auch, als der Weg schwer wurde.
Und blieb bei allem, was kam, in enger Verbindung mit Gott.
Das machte ihn stark trotz äußerer Schwäche. Trotz Verlassenheit und Schmerzen, selbst im Tod. So konnte er sagen: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“. Amen

Predigtlied für den Sonntag Okuli 2020

(Melodie: Wachet auf, ruft uns die Stimme!)

Großer Gott, du hast gegeben
uns Menschen dieses schöne Leben,
wir sehen, wie fragil es ist.
Wenn die Sicherheiten fallen,
dann ahnen wir, wie wichtig allen
du uns als Schutz und Hilfe bist.
O Gott, wir bitten dich,
um Hilfe gnädiglich und Erbarmen.
Steh du uns bei und mach uns frei
von Panik, Angst und Narretei.

Jesus Christ, du hast verzichtet,
und damit Leben neu gewichtet
fernab von aller Sicherheit.
Hast dich Gott ganz hingegeben
in Liebe, Leid, in Tod und Leben
und öffnetest die Herzen weit.
Hilf uns so zu vertraun
und so auf Gott zu schaun dieser Tage.
Geh uns voran die Lebensbahn
und schütze uns vor allem Wahn.

Gottes Geist uns möge leiten
durch diese angespannten Zeiten
mit Ängsten auf dem Erdenrund,
dass wir klug zu scheiden wissen,
was wir jetzt tun und lassen müssen
damit doch vieles bleibt gesund.
Wir bitten um die Kraft,
die Nötiges jetzt schafft miteinander.
Mach uns bereit für Krisenzeit
mit Blick auf deine Ewigkeit.