Predigt zum Sonntag Estomihi

Liebe Gemeinde am Wasser, Maria am Wasser!

Der Herr wird dich immerdar führen
und dich sättigen in der Dürre
und dein Gebein stärken.

Du wirst sein wie ein bewässerter Garten
und wie eine Wasserquelle,
der es nie an Wasser fehlt.
Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden,
was lange wüst gelegen hat
und du wirst wieder aufrichten,
was vorzeiten gegründet ward,
und du sollst heißen,
„der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert,
dass man da wohnen könne!“

Lassen Sie mich mit dem Ende beginnen,
mit den vollmundigen Worten der Verheißung.
Mit dem Evangelium, wenn man denn diese Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium kurzerhand an einen alttestamentlichen, an einen jüdischen Text herantragen darf.
Drei Teile hat der Predigttext aus Jesaja 58.
Aufgebaut fast wie die Sonate e-moll von J. S. Bach
Klage am Anfang mit einem Lamento,
– wir haben es zu Beginn gehört – ,
dann eine Allemande – ein geradlinig schreitender Tanz mit gemessenem Schritt
und am Ende Gigue – ein zuversichtlich, fröhlich ausschreitender Tanz, beinahe Volkstanz. Wir werden es als Nachspiel hören.

So könnte sie sein, die gesamte Dramaturgie unseres Gottesdienstes.
13. Februar gestern – schreckliche Ereignisse. Am Morgen des 14. Februar 1945 – wie mag es wohl ausgesehen haben. Dann die Botschaft der Ermahnung zum Frieden, und am Ende die fröhliche Verheißung auf gute Zeiten.

Und so ähnlich ist auch das 58. Kapitel des Jesajabuchs aufgebaut.
Not am Anfang – Mahnung in der Mitte – und Verheißung am Ende.

Ich möchte es anders halten:
Lassen Sie mich mit dem Ende beginnen.
Denn das erleben wir doch.
So war es doch. Da stehen wir heute. Sehen wir uns doch nur um:

Maria am Wasser – ein bewässerter Garten, dem es nie an Wasser fehlt.
Was lange wüst gelegen hat, wirst du wieder aufrichten.
Sehen wir uns doch den Ort an.
Den Elbhang.
Die Stadt Dresden insgesamt.
Was vorzeiten gegründet ward, wirst du wieder aufrichten.
Da muss man nicht nur an unsere Kirchen denken,
auch an historische Gebäude, Schlösser, Gärten, Straßen, Fabriken, Verwaltungen. Dresden ist ein Juwel. Eine Stadt am Wasser mit Erholung und Gärten und einer Wohnqualität, wonach sich andere Städte die Finger lecken.
Du wirst heißen: Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert – nun gut, da ist noch ein bisschen Luft nach oben, – wenn ich etwa an die Stauffenbergallee denke.

Aber ist es nicht so – nicht nur in Dresden, dass wir viele der göttlichen Verheißungen für uns nicht nur in Anspruch nehmen können, sondern sogar erfüllt finden?
Belassen wir es also beim letzten fröhlichen Satz dieser Sonate und geben uns ganz der Glückseligkeit hin, oder ehrenvoller der Dankbarkeit, dass es uns so gut geht?

Ja gern, und doch griffen wir zu kurz, wenn wir uns nicht auch der ersten beiden Sätze der Gesamtkomposition stellen würden.
Denn da liegt uns einer in den Ohren und ruft mit lauter Stimme:

Rufe laut, halte nicht an dich!
Erhebe deine Stimme wie eine Posaune
und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit
und dem Haus Jakob seine Sünden.

Sie suchen mich täglich
und wollen meine Wege wissen,
als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan
und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte.
Sie fordern von mir Recht,
sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.
„Warum fasten wir und du siehst es nicht an?
Warum kasteien wir unseren Leib
und du willst’s nicht wissen?“

Siehe, an dem Tag, da ihr fastet,
geht ihr doch euren Geschäften nach
und bedrückt alle eure Arbeiter.
Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr,
und schlagt mit gottloser Faust drein.

Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut,
wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
Soll das ein Fasten sein, an dem ich Wohlgefallen habe,
ein Tag, an dem man sich kasteit
oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf
und in Sack und Asche sich bettet?

Die Sehnsucht ist jedenfalls nicht weg.
Die Sehnsucht nach Leben,
das heil ist und uns in Verbindung hält mit einer wahren Quelle,
mit einer Vollkommenheit, die anderes für uns bereit hat,
als immer noch besser oder mindestens so wie jetzt auch;
oder wie damals, als es den Lockdown noch nicht gab.

Denn wir fasten ja.
Dauernd – ein Jahr fast schon verzichten wir auf so vieles wegen der Gesundheit. Lange hat es schon nicht mehr ein von oben verordnetes Fasten gegeben. Die Religion tut es schon lange nicht mehr. Dazu ist Glaube und Kirche viel zu sehr in privaten Bereich umgezogen. Es war meine eigene Sache, ob ich auf Alkohol verzichte, auf Autofahren oder Fleisch, auf Süßigkeiten am Abend oder Fernsehen. Dass mir jemand von oben sagt, ja sogar bei Strafe anordnet, nicht rauszugehen, wenn ich infiziert bin, oder ich meinem Geschäft nicht nachgehen kann, von dem ich immerhin lebe, das ist ungewöhnlich. Und wie bei religiösen Fastenanordnungen ist es bei politischen auch – wir suchen die Lücken und kleine Ausflüchte und den privaten Widerstand in einzelnen Situationen.

Jesaja jedenfalls hat einen durchaus kritischen Blick auf Fastenpraktiken, egal ob von oben angeordnet oder selbst gesucht. Und auch gar zu voreilige Hörigkeit oder vordergründig bekundete Demut ist ihm fragwürdig:

Soll das ein Fasten sein, an dem ich Wohlgefallen habe,
ein Tag, an dem man sich kasteit, oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf
und in Sack und Asche sich bettet?

Was für eine tiefgründige Formulierung!
Das gibt es wirklich, dass man sich bettet in geheuchelter Selbstbeschränkung.
Was ist denn das? Maske tragen? Auf Reisen verzichten? Zu Hause bleiben? Und trotzdem einkaufen können und alles haben und kaufen können, was man wirklich dringend braucht? Das ist ok. Das ist eigentlich eine leichte Übung.

Und Zank und Hader und politische Profilierungssucht mit gottloser Faust – das blüht in diesen Tagen.
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr, und schlagt mit gottloser Faust drein.

Ja, noch leisten wir uns das.
In immer neuen Polittalks zu kritisieren, besser zu wissen, zu fordern, als sei eine Regierung dafür verantwortlich, dass ein Virus grassiert. Und so scheiden sich die Geister an getroffenen Regelungen und spalten den Zusammenhalt einer Gesellschaft tiefer, anstatt die Kräfte zu pflegen, die in Zeiten der Not die Menschheit immer stark gemacht haben:
Den Zusammenhalt.
Die Hilfe für Schwache. Der Segen, der davon ausgeht, dass Länder zusammenarbeiten statt sich zu bekriegen oder abzuschotten. Der Segen, der daraus erwächst, dass Menschen die Botschaft der Pandemie verstehen:
Leben wir wirklich richtig? D.h. gerecht anderen gegenüber, der Natur gegenüber, den endlichen Ressourcen der Erde gegenüber? Wen halten wir in Knechtschaft, damit es uns gut geht? Wie gerecht sind Verträge und Handel in der Welt? Um nur einige Fragen zu stellen.

Als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan hätte.
Sie fordern von mir Recht,
sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.

Manchmal ist es wirklich so, dass wir spüren, es fehlt uns etwas.
Göttliche Nähe, Shalom, Einheit mit Gott und der Welt und Natur und dem Menschen in der Nähe und in der Ferne.
Auch wenn unsere Städte so wunderbar wieder aufgebaut sind und es uns gut geht wie nie.

Und wer in der Pandemie die Arbeit verloren hat, die Enge zu Hause nicht mehr aushält, weil alle überfordert sind, wer einen Betrieb halten muss und verschuldet ist, der leidet nicht mehr auf hohem Niveau, sondern spürt unmittelbar die Gefahr des Virus, nicht nur als Krankheit, sondern als existenzbedrohend und zukunftsraubend. Nicht wenige geraten dabei auch an Grenzfragen, welchen Sinn das Leben überhaupt hat und wo Gott ist, wenn es ihn denn gibt.

Gott ist. Das können wir glauben. Und deshalb halten wir uns an den überlieferten Worten fest. Die eben nicht leichthin gesagt sind.
Ihr steht am Wasser. Ein reich bewässerter Garten. Gott ist da und gut.

Mein dritter und mittlerer Abschnitt der Predigtsonate des Jesaja:
Haltet zusammen:
Das wäre ein Fasten, wie es mir gefällt.

Ist das nicht ein Fasten,
an dem ich Wohlgefallen habe:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast.
Gib frei, die du bedrückst; reiß jedes Joch weg!

Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe in dein Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.

Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst,
und mit Fingern zeigst,
und nicht übel redest,
sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt,
und den Elenden sättigst,

dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,
und deine Heilung wird schnell voranschreiten.

Heilung, in dieser viralen Zeit für eine Gesellschaft, geschieht durch Zuwendung zueinander. Ja man kann Gott sogar dadurch nahe kommen, dass man dem Nächsten nahe kommt, oder zumindest ihn mein Herz finden lässt; ihn ahnen lässt, dass Menschen barmherzig sind, so wie Gott barmherzig mit uns ist, immer.

Dann kommt es zu einem Siegeszug.
Klare Schritte voran, wie eine Allemande.
Ein Lebenstanz der Gerechtigkeit für alle.
Er wird angeführt von Menschen guten Willens, und er wird abgeschlossen vom Höchsten selbst. Wie ein Rückenwind, mit dem wir unterwegs sind.

Und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.
Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten.
Wenn du schreist, wird er sagen, Hier bin ich,
weil er dich schaffen sieht,
für gerechtere Lebensverhältnisse,
für einen Frieden zwischen den Menschen in Familie und zwischen Völkern,
für eine Natur, die du Schöpfung Gottes nennst, und die Geschöpfe so behandelst, dass du sie nicht nur für deine Zwecke ausnutzt, sondern sie liebend und dankbar nutzt.

Dann wird dein Dunkel sein wie der Mittag und dein Licht aufgehen in der Finsternis. Und du wirst ein bewässerter Garten sein, und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
Maria am Wasser

Amen