„Kehrt um, dann werdet ihr leben!“
Predigt über Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32
(Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32 )
Predigt von Pfarrerin Maria Heinke-Probst
für den 3. Sonntag nach Trinitatis,
am 3. Juli 2022, 10 Uhr
in der »Maria am Wasser«
[Der Prophet Ezechiel, Michelangelo, Fresko sixtinische Kapelle, 1510]
in der Bibel steckt geballtes Wissen über Begegnungen zwischen Gott und Mensch aus tausend Jahren – Mutmachtexte, Weissagungen, Gebete, Appelle usw. – Texte aus fröhlichen Zeiten und ebenso aus Krisenzeiten.
Unser heutiger Predigttext weht aus einer solchen Krisenzeit herüber: wie ein großes Luft-Anhalten nach einem furchtbaren Krieg im 6. Jh vor Christus und nach Deportationen ins Exil.
Inmitten von Entwurzelung und der Frage: Wo ist Gott? Inmitten von diversen Versuchen, Schuldige für die Misere zu finden: die eigene Regierung, die anderen Völker, wen auch immer… Dahinein sprach ein Prophet namens Ezechiel, auch Hesekiel genannt.
Er gab weiter, was er damals als göttliche Botschaft erkannte.
Ich lese den Abschnitt in 3 Etappen. Die erste:
Des Herrn Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden“? – So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Dieses Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, wird sterben.
Uiuiui! Starker Tobak! Der Prophet steigt mit einem alten Sprichwort ein.
Sprichwörter beinhalten tiefe Lebensweisheiten. Manche davon haben nur eine kurze Lebenszeit, andere werden durch die Jahrhunderte weitergegeben. „Aller Anfang ist schwer.“ ist so eines. Oder „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“
Hier also dieses: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne stumpf geworden…“ Die Elterngeneration hat sich in etwas Ungutes verstrickt, an dem erst die Kinder zu knabbern haben. Und darunter zu leiden.
Ich las von einer Frau, die als Au-pair-Mädchen auf eine englische Insel kam, dort die Ausstellung „Deutsche Okkupation“ sah, stark erschüttert war, wie die Deutsche Wehrmacht dort gewütet hat, und sich danach kaum als Deutsche zu zeigen wagte, wegen der dort verübten Schuld.
Ezechiel erklärt hier: So sollt ihr nicht mehr argumentieren, sagt Gott.
Das alte Sprichwort soll ersetzt werden.
Zunächst klingt es fast wie eine Verhärtung: alle werden sich verantworten müssen.
Ezechiel setzt seine prophetische Rede fort: Wenn sich aber der Gottlose bekehrt… und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so wird er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat.
Meinst Du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt und am Leben bleibt?
Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben?
Recht und Gerechtigkeit halten oder nicht; leben oder sterben – das sind hier die Stichworte. Ezechiel ringt damit, was es heißt, als erwachsener Mensch Verantwortung zu übernehmen.
Das alte Sprichwort schuf ja eine gewisse Entlastung, indem es sagte: ‚Die Väter waren schuld. Die haben die sauren Trauben gegessen. Wir konnten doch gar nichts dafür.‘ – Unsere Großeltern haben uns in diesen Krieg hineinschlittern lassen. Wir konnten nichts dafür, müssen es aber ausbaden.
Wie manchmal auch unter uns argumentiert wird: Unsere Vorfahren haben sich an zwei Weltkriegen beteiligt, wir als Kinder und unsere Eltern hatten darunter zu leiden.
Oder: Die Generationen seit 150 Jahren haben alle Kraft in die Industrialisierung und Modernisierung gesteckt… und dabei kaum Rücksicht auf die Natur genommen.
Und wir haben nun darunter zu leiden. –
An vielem ist ja auch etwas dran.
Doch Ezechiel lehnt es ab, dass die Kinder für das Verhalten der Eltern herhalten sollen.
Und ebenso, dass sie sich damit aus eigener Verantwortung herausreden.
Zusammengefasst höre ich bei ihm: Wer die falschen Wege verlässt, wird das Leben finden (auch wenn er früher auf schiefe Wege geraten war – s. Gleichnis vom verlorenen Sohn).
Und weiter prophezeite Ezechiel:
Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel,
einen jeden nach seinem Weg, spricht der Herr.
Kehrt um und kehrt euch ab von all euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch all eure Übertretungen, die ihr begangen habt,
und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist.
Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel?
Ich habe kein Gefallen am Tod dessen, der sterben müsste, spricht Gott.
Darum kehrt um, so werdet ihr leben.
Ezechiel kündigt seinen Leuten an:
Ihr habt euch vor Gott für euer eigenes Handeln zu verantworten. Nicht für das eurer Eltern. Kehrt um!, appelliert er. Erneuert euch.
Lasst euch ein neues Herz, einen neuen Geist schenken.
Zuletzt versichert er noch: Gott freut sich nicht am Tod dessen, der sterben müsste.
Gott möchte euer Leben.
vielleicht wirkt dies alles weit weg von uns, die Rede von Schuld und Sünde, von Sterben-Müssen und Gericht, von Umkehr zum Leben. Wir wollen doch lieber hören, was wir alles gut machen, brauchen Trost und Zuspruch.
Aber vielleicht werden wir bei diesen alten Worten auch nachdenklich.
3 Beispiele möchte ich nennen:
1) Mit Blick auf Krieg und Frieden:
Ja, unsere Großväter waren dabei, als andere Länder überfallen wurden, wir nicht.
Doch jetzt sind wir gefordert, uns zu positionieren.
Wie stehen wir dazu, wenn Hass und Feindschaft auf der Straße, im Netz und zwischen Völkern zu erleben sind und scheinbar immer selbstverständlicher werden.
Es hilft nicht, auf frühere Generationen zu verweisen. Es ist zu wenig, auf die anderen zu zeigen, die angeblich handeln müssten: der Bundeskanzler oder Putin, mein Nachbar oder diese und jene Institution.
Wir sind gefragt, nach dem zu suchen, was dem Frieden dient – mit Worten und Briefen, mit Gebeten und Verhandlungen. Abrüsten im Alltag, das ist nicht nur zwischen den Großmächten nötig, sondern immer wieder und überall.
2) Mit Blick auf die Bewahrung der Schöpfung:
Ja, über Generationen, besonders seit dem Beginn der Neuzeit, wurde mit der verstärkten Ausbeutung der Bodenschätze unseren Mitgeschöpfen und unserem Planeten zunehmend Gewalt angetan.
Aber nur auf die Schuld früherer Generationen zu verweisen, greift zu kurz.
Wir sind gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Jetzt, im Sommer 2022.
Inwieweit setzen wir uns dafür ein, dass unsere Erde lebenswert bleibt?
An welchen Stellen kehren wir selbst um – hin zu einem einfacheren Lebensstil?
Wo tragen wir zum Grünen und Blühen bei?
Wo helfen wir dabei, den CO2-Ausstoß einzudämmen?
Wo denken wir über nachhaltige Energiequellen nach?
3) Und ebenso mit Blick auf die Fragen der Gerechtigkeit:
Vor 32 Jahren wünschten sich die meisten Menschen hierzulande die Abkehr vom sozialistischen Wirtschaftsmodell hin zum marktwirtschaftlichen. Gleichzeitig hören und lesen wir seit längerem von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, die sich in den letzten Jahren noch verstärkt hat.
Und wir hören davon, wie durch Coronaepidemie und Ukraine-Krieg viele Länder in Ost- und Zentralafrika ungleich stärker geschwächt und getroffen sind als wir. Sie blicken mit großer Sorge auf kommende und schon begonnene Hungerzeiten.
Auch dabei greift es zu kurz, auf andere zu zeigen, die früher so oder so gewählt haben, die jetzt Häfen verminen oder blockieren.
Wir selbst sind gefragt, im Sinne Gottes für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Wir.
Damit so viele wie möglich ein lebenswertes Leben auf der Erde führen können.
„Sonst werdet ihr sterben“ – diese Ansage wurde damals als Gottes nahes Gericht verstanden. Heute rechnen nur wenige Menschen – zumindest in den reichen modernen Industriestaaten – mit einem direkten Eingreifen Gottes.
Aber dass Umkehr nötig ist, dass wir neue Formen des Wirtschaftens und Miteinander-Lebens brauchen, um als Menschheit zu überleben, wird auch in vielen säkularen Kreisen und Denkzirkeln ausgesprochen.
„Kehrt um, so werdet ihr leben!“ – was für ein starker Appell.
Gott will das Leben und braucht uns als die, die diese Umkehr zum Leben mitgestalten.
Im Evangelium, in der Geschichte vom verlorenen Sohn, hörten wir ein großes Versprechen:
Wer es wagt, nochmals neu zu beginnen, wird von Gott mit offenen Armen empfangen – so wie der verlorene Sohn vom Vater. Der Weg ist frei, neu zu beginnen.
„Gott gab uns Atem, damit wir leben. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit besteh‘n…“
Amen.