Liebe Gemeinde!

Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen –
auch keine Brandopfer, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen,
und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! –
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Gott segne an uns diese Worte!
3 Schritte: 1) Amos, 2) Rudolf Mauersberger 3) Wir

1) Amos

Liebe Gemeinde,

gern lasse ich mich im Gottesdienst von wohltuenden Worten stärken – Sie sicherlich auch. Und von wohlklingender Musik. Gern tauche ich in schöne Harmonien für Geist und Seele ein. Wie in ein Bad mit Rosenduft.
Doch heute rütteln uns prophetische Worte auf, scharf wie ein mexikanisches Gericht. Kaum auszuhalten. Nach der Basisbibel klingt es so:
„Ich hasse, ja verabscheue eure Feste, und eure Gottesdienste mag ich nicht riechen…
Ich habe keinen Gefallen an euren Speiseopfern. Und euer Mastvieh… soll mir nicht unter die Augen kommen.
Lasst mich in Ruhe mit dem Lärm eurer Lieder! Auch euer Harfenspiel mag ich nicht hören! Vielmehr soll das Recht wie Wasser strömen und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Hier spricht Amos, Prophet im Nordreich Israel im 8. Jahrhundert vor Christus.
Ursprünglich Schafzüchter, dann durch Gott beauftragt, Gottes Wort in aller Deutlichkeit und Schärfe unters Volk zu bringen.
Stellen wir uns vor, wie er mit diesen Worten mitten in den religiösen Betrieb am Heiligtum
in Bethel hineinplatzte, wo auf vielen Altären kleine und große Tiere geopfert wurden und der Rauch zum Himmel stieg. Wo ein Chor psalmodierte, Priester zelebrierten, Instrumente erklangen, neben dem Widderhorn die Harfe, wo die ganze Kultgemeinde fröhlich feierte.

„Ich hasse eure Feste und mag eure Gottesdienste nicht riechen. –
Lasst mich in Ruhe mit dem Lärm eurer Lieder und mit eurem Harfenspiel!“
Das als Gottes Stimme?! Nur wenige Bibelstellen verweisen auf einen Gott voller Abscheu. Was war hier geschehen? – Wer sich näher mit Amos beschäftigt, merkt schnell:
da geht es nicht um eine grundsätzliche Ablehnung von Gottesdiensten oder religiösen Festen.

Ihm geht es um eine Oberflächlichkeit, die die Religion absurd werden lässt.

Amos beschreibt eine zutiefst gespaltene Welt.
Zwischen Armen und Reichen, zwischen denen, die Recht ausüben, es aber brechen und denen, die Unrecht erleiden. Der religiöse Kult seiner Zeit trägt das Ganze mit!
Konkret beschreibt Amos feine Leute, die zum Gottesdienst kommen, singen, beten und opfern, doch nicht wirklich zu Gott in Beziehung treten. Sich nicht anrühren lassen von Gottes Liebe. Sich nicht verwandeln lassen gegenüber ihren Mitmenschen. Nach dem Gottesdienst gehen sie nach Hause und prassen. Während die Armen um sie herum verelenden, beugen sie das Recht und die Menschenwürde.

„Ich kann das Geplärr eurer Lieder nicht hören! – Darum, weil ihr die Armen unterdrückt…,
weil ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor unterdrückt“ – Das kommt bei Amos immer wieder vor.

Darum wird der Tag des Herrn als Tag des Gerichts kommen, kündigt der Prophet an.
Amos sieht das Unheil heraufziehen. Deutet die Zeichen der Zeit so, dass sein Volk ernten muss, was es gesät hat. Der Tag des Herrn als Gericht – wahrlich keine frohe Botschaft.
Doch Amos hält damit nicht hintern Berg, spricht von kommender Zerstörung und schlimmen Schrecken. Darum, weil ihr Glaube oberflächlich blieb, keine Auswirkungen im Alltag zeigte, darum wird Gottes Gericht sie treffen, ist der Prophet überzeugt.

Wir wissen, dass das Nordreich Israel (also Galiläa und Samaria) im Jahr 722 v. Christus vom assyrischen Heer überrollt und vieles zerstört wurde. Es blieben Ruinen, die den nachwachsenden Generationen davon Kunde brachten.
Und noch nach 50 Jahren hatten sie Amos‘ Worte im Ohr: „Wie könnt ihr nur Choräle singen und gleich danach Böses tun und das Recht beugen!“
Im Nachhinein schlossen sich viele der Deutung des Amos an:
Gottes Gericht kam über uns bei so viel Schuld.

2) „Wie liegt die Stadt so wüst“

Vorhin hörten wir die gleichnamige Trauermotette von Rudolf Mauersberger.
Die Zerstörung der wunderbaren Stadt Dresden am 13. und 14. Februar 1945 jährt sich zum 79. Mal. Noch immer leben Menschen unter uns, die davon erzählen können.
Von den fallenden Bomben, von der Angst und der Flucht in die Keller oder aufs Land, von verletzten und getöteten Angehörigen, vom großen Brand, der Trümmerwüste danach, und wie zuletzt auch noch die Frauenkirche fiel.
„Wie liegt die Stadt so wüst“ – Rudolf Mauersberger komponierte voller Schmerz über unermessliches Leid und Zerstörung. Textlich legte er dabei die Klagelieder Jeremias zugrunde, die er am Karfreitag 1945 gelesen hatte.
Exemplarisch führt uns die Zerstörung Dresdens den Irrsinn von Kriegen vor Augen.
Noch fast 80 Jahre später ist nicht völlig überwunden, was damals alles materiell, körperlich und seelisch zerstört wurde.

Ein wichtiges Motiv aus den Klageliedern griff Rudolf Mauersberger nicht auf: das Eingeständnis eigener Schuld (so mehrfach Motiv in Jeremias Klageliedern Kapitel 3+5).
Ob ihm dies angesichts der rauchenden Ruinen nicht möglich war oder ihm als Zumutung gegenüber seinen Mitmenschen erschienen wäre, wissen wir nicht.
Es sollte Oktober 1945 werden, dass die damaligen evangelischen Bischöfe in Stuttgart eine Schulderklärung formulierten. Wer sich ein Bild davon machen möchte, wie sich das Böse im Vorfeld 12 Jahre lang drastisch gesteigert hatte, möge sich einmal im Jüdischen Museum in Berlin Zeit nehmen für die Etage ab 1933 – und bewusst aufnehmen, wie die rassistische Denkweise der Nationalsozialisten in immer mehr Gesetze Einzug hielt, wie in atemberaubender Geschwindigkeit jüdische oder als jüdisch bezeichnete Menschen entrechtet wurden, aber auch politisch andersdenkende vielfältiger Coleur.
Oder in LTI („Die Sprache des Dritten Reiches“) von Victor Klemperer nachlesen.

Durs Grünbein im Interview in der gestrigen SZ-Ausgabe: „Allen Untaten, von der Tötung Geisteskranker bis hin zum Judenmord, ging die sprachliche Entwertung der Opfer voraus.“

Das Böse nahm seinen Lauf. Aus einem Rinnsal wurde ein Bach, ein Strom, der immer mehr mit sich riss an gelebter Demokratie und schlichter Menschlichkeit.

Dietrich Bonhoeffer verkörpert eine der wenigen prophetischen Stimmen von damals.
Klar stellte er sich der antisemitischen Entrechtung entgegen. In diesem Zusammenhang äußerte er scharfe Kritik auch an seiner Kirche. „Nur wer für die Juden schreit, darf Gregorianik singen“, ist von ihm überliefert. In der Tradition der alttestamentlichen Propheten schlug er einen Bogen von der eigenen religiösen Praxis zu einem Handeln aus Glauben.
Er hatte nichts grundsätzlich gegen schön gesungene gregorianische Psalmen. Aber im Gottesdienst Psalmen aus jüdischer Zeit zu singen „Befiehl du deine Wege“, „Herr, auf dich traue ich…“ und hinterher wegzuschauen, wenn das Recht der jüdischen Mitmenschen gebeugt wird, führt den christlichen Glauben ad absurdum.
Zu wenige solcher Stimmen sprachen damals laut und deutlich Gottes Willen aus.

3) Und wir im Februar 2024

Manche von uns leben im dumpfen Gefühl, dass zu viel aus den Fugen geraten ist.
Viele von uns sehen Unheil am Horizont heraufziehen. Ich nenne 3 Bereiche:

Was wäre denn, wenn Amos zu uns käme?
Ich hoffe doch, dass ihm meine gregorianischen Stücke in der Liturgie gefallen würden und die Musik unseres Kammerchores, dazu die Klänge der Orgel.
Ich hoffe inständig, dass er nicht wüten müsste: „Sonntags singt ihr Choräle und ab Montag brecht ihr wieder das Recht. Sonntags gebt ihr Kollekte und in der Woche fühlt ihr euch von allen betrogen und rafft deshalb, wo ihr könnt.“
Deutlich würde er uns wohl Gottes Auftrag unter die Nase halten: Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Den Begriff der Menschenwürde kannte Amos noch nicht. Aber aufgrund solcher Stimmen wie seiner entwickelte sich überhaupt erst ein Verständnis von der Gleichheit aller Menschen vor Gott. Gleich wertvoll. Gleich geliebt.

Schaun wir darauf, dass unser Glaube im Alltag und auf der Straße Gestalt annimmt.
Dass wir uns sonntags mit Gott verbinden und diese Verbindung an allen Wochentagen leben und ausstrahlen. Damit nie wieder geschieht, was geschah. Damit wir Gottes Wille in die Welt tragen: Recht und Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Amen.