Der Predigttext…

Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn! Amen

1) Wandeln im Lichte des Herrn – ein Blick zurück

Liebe Gemeinde,

vor 2 Wochen sah ich im Museum der Bildenden Künste die Sonderausstellung: „The point of no return – Ostdeutsche Kunst vor und nach dem Herbst ’89“. Ein Bild hatte es mir besonders angetan: „Große Passage“ von Doris Ziegler. Es entstand 1989 / 90.

Eine Gruppe von Menschen, zum Teil mit maskenhaften Gesichtern, überquert eine Brücke. Manche tragen laute Instrumente bei sich, andere wirken still in sich gekehrt. Das könnte irgendwo in Plagwitz sein. Gleichzeitig wirkt dieser Zug wie der Übergang von einer Welt in eine andere. Oder von einer Zeit in eine andere.
Eine Figur fällt dabei besonders auf: die jugendliche Gestalt in der Mitte, die eine Kerze trägt. Vorsichtig und behutsam. Sie wird vom Kerzenlicht angestrahlt. Mit warmem, hellem Licht. Der goldgelbe Pullover sticht in der grauen Menschenmenge hervor. Auch das Gesicht wirkt menschlicher als bei den anderen Gestalten. Und ist gleichzeitig offen nach vorn gerichtet.
Meines Erachtens steckt darin tatsächlich dieses Besondere vom Herbst 89: die große Bedeutung der Kerzen, der Friedensgebete, Gewaltlosigkeit, auch der Mut, aufzubrechen und loszugehen. „Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn“.
Jener Geist speiste sich aus uralten Texten.
Unser heutiger Predigttext ist einer davon. Besonders bekannt wurde der Vers: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln…“ Jesajas Worte entfalteten gerade in Ostdeutschland große Wirkung – wir kennen die Vorgeschichte: als 1959 die Sowjetunion der UNO jene Bronzeskulptur schenkte: ein Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet (sie steht noch heute in New York). 20 Jahre später entwarfen hier in Sachsen der damalige sächsische Jugendpfarrer Harald Bretschneider und die Grafikerin Ingeborg Geißler gemeinsam ein Logo mit diesem Motiv.
Auf Vlies gedruckt wurde es tausendfach innerhalb der kirchlichen Friedensbewegung getragen (auch von mir 1982 mit schulischen Konsequenzen).
Von Jesajas Prophetenwort ziehen sich Linien bis zum Herbst 89 mit seinem besonderen gewaltfreien Geist. – In diesen Tagen bezeichnen sich viele als die eigentlichen Erben des Herbstes 89. Da ist es sinnvoll, genau hinzuschauen, was diesen Geist prägte.

2) Ernüchternder Blick auf die Gegenwart – Pflugscharen zu Schwertern?

30 Jahre später. Viele von uns tragen die großen Visionen noch im Herzen. Und doch scheinen sie überlagert von der bitteren Realität.
Um es im Bild zu sagen: Vielfach werden Pflugscharen wieder zu Schwertern umgeschmiedet, die Waffen neu aufeinander gerichtet, zur Aufrüstung geraten und getrieben.
Die Sächsische Zeitung vom Donnerstag beschreibt auf Seite 2 unter der Überschrift „Welt aus den Fugen“ 5 momentane Konflikte die den Weltfrieden bedrohen: Indien gegen Pakistan, Hongkong gegen China, Japan gegen Südkorea, Iran gegen USA, Atommächte gegen Atommächte. Alle Seiten müssten wieder anerkennen, so wird der frühere Oberst Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zitiert, dass die Welt (Zitat) „nicht durch Rüstungswettläufe stabiler wird, sondern nur durch strategische Begrenzungen“. Nicht durch Rüstungswettläufe wird die Welt stabiler!
Auch im Inland, auf der Straße wie in den sozialen Netzen, erleben wir seit langem eine gesunkene Hemmschwelle zu pöbeln, zu hetzen, Tatsachen zu verdunkeln, zu Gewalt anzustiften. Hassreden selbst unter Spitzenpolitikern sind leider keine Seltenheit mehr; gewaltvolle Massenmorde lassen erschaudern… Hat die Realität die Visionen von gewaltfreier Konfliktlösung besiegt?
Sind wir Menschen eben einfach so und können nicht anders?
Doch die Propheten Micha und Jesaja legen uns nahe:
In Gottes Vorstellung können wir auch anders. Die Verse nähren die Hoffnung darauf, wie es sein könnte: viele Menschen kommen dabei in Bewegung. Ganze Nationen machen sich auf zum Berg Zion, um sich dort neu mit göttlicher Weisung beschenken zu lassen. Sie wollen Gottes Gebote lernen. Und Gott selbst wird Gericht halten über das Tun und Lassen der Völker. Der Text schließt mit den Worten „Kommt, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!“- Ich lese daraus dreierlei:

3) Heute im Licht Gottes wandeln

Jesajas Vision entfaltete durch die Jahrhunderte ihre Wirkung. Besonders stark und unauslöschlich in Jesus von Nazareth, in dessen Namen wir uns versammeln. Sein Geist des Friedens begegnet uns intensiv in der Bergpredigt: schon wer gedanklich hasst, ist weit von dem entfernt, was Gott will… „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen“. Jesus wies die Zeloten ab, die Gottes Reich mit dem Schwert in der Hand errichten wollten. Zu Petrus sagte er: „Stecke dein Schwert ein, denn wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen!“
Noch unter der Folter blieb Jesus gewaltfrei. Und doch autark. Im Vertrauen auf Gott als letzte Instanz. Die großen christlichen Friedensbewegungen haben diesen Geist Jesu weitergetragen: Franz von Asissi – die Waldenser – die Brüderunität in Böhmen und Mähren…

Der Auftrag gilt weiterhin: „Lebt als Kinder des Lichts!“.
Hier in der Kirche leuchten Kerzen. Nachher werden wir sie löschen. Doch das, wofür die Kerzen stehen, darf nicht verlöschen: Gottvertrauen, Liebe und Hoffnung.
Lasst es uns hinaustragen. In unsere Familien, Vereine und Parteiversammlungen. In unsere Entscheidungen am Wahlsonntag in 3 Wochen.
Lasst uns am Frieden schmieden. In diesem Spätsommer 2019. Wenn sich vielleicht der Nachbar über den Gartenzaun hinweg beschwert. Wenn so manche Mail uns maßlos ärgert. Wenn die eine Partei der anderen Unfähigkeit zuschreibt. Wenn es so leicht ist, im Unglücksfall einen Schuldigen mit Hass zu überhäufen.
Ein kleineres und ein größeres Beispiel möchte ich nennen:
Da hat mich eine Mail kräftig geärgert. Tagelang. Selbst in den Nächten. Doch ich nehme mir vor, nicht per Mail zu antworten. So gern ich einfach nur meinen Ärger herunterschreiben würde. Möglicherweise würde dies nur die Eskalation verschärfen. Nein – ich möchte die richtige Gelegenheit finden, um direkt, von Angesicht zu Angesicht zu antworten.

Das Geschehen am Frankfurter Bahnsteig mit dem Tod eines 8jährigen Jungen, der auf die Gleise gestoßen wurde, hat viele Menschen verstört. Keine Frage: dies ist eine wirkliche Tragödie. Furchtbar. Doch die Gefahr besteht, dabei ganze Menschengruppen – seien es Asylbewerber oder psychisch Kranke – unter Generalverdacht zu stellen und mit Hass zu überziehen (so wie es seitdem vielfach passiert). Pauschal zu verurteilen ist immer leicht. Und geht meist an der Wahrheit vorbei.
In der Neuen Zürcher Zeitung schreibt der Forensische Psychiater Frank Urbaniok, dass diese Reaktionen, vereinfacht gesagt, „animalischen Instinkten entsprechen“.
Wirklich menschlich wären Mitgefühl und Trauer. Zitat: „Aber Trauer und Ohnmacht sind unangenehme Gefühle. Es ist viel leichter und erträglicher, auf Wut, Hass und Aggression umzuschwenken. Da fühlt man sich handelnd und kompetent.“
Am Frieden schmieden würde heißen: Wir lassen uns auch auf diese Gefühle der Trauer und Ohnmacht ein. Wir leiden mit der Familie, die ihr Kind verloren hat, aber auch mit der Familie, deren Vater in einem psychischen Ausnahmezustand eine so schreckliche Tat vollbrachte.
Und wir fragen danach: Wie begegne ich Menschen mit psychischen Problemen so, dass Geborgenheit in ihr Leben fließen kann. Wir hüten uns davor, derartige Ausnahmeereignisse zu verallgemeinern.
Gottes Kinder sollen „als Kinder des Lichts“ leben. Am Frieden schmieden. Mitten im Alltag. –

Schauen wir noch einmal auf das Bild „Große Passage“. Aufbruch ins Unbekannte.
Auch wir selbst stecken mitten in Aufbrüchen. Wenn wir hinübergehen ins neue Schuljahr, wenn wir auf die Landtagswahl zugehen, auch innerhalb der kirchlichen Strukturreform, wenn sich 5 Gemeinden am Elbhang als „Schwestern“ zusammenfinden…
Lasst uns das Licht mitnehmen – die göttlichen Verheißungen. Lasst uns am Frieden schmieden als Kinder des Lichts. Amen