Predigt für den Ostersonntag 2021

Der Text steht in 2. Mose 14 „Errettung aus Todesnot am Schilfmeer“

Der Herr verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den Israeliten nachjagte, … alle Rosse und Reiter des Pharao, und sie holten sie ein, als sie am Meer bei Pi-Hahirot … lagerten. Und als der Pharao nahe herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her. Und sie fürchteten sich sehr und schrieen zu dem Herrn und sprachen zu Mose:
Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten geführt hast? Haben wir’s dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.
Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird. Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellt sich hinter sie, und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie. Und kam zwischen das Herr Ägyptens und das Herr Israels, … und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher.
Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der Herr zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen. … Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse des Pharao, seine Wagen und Reiter, mitten ins Meer. … Aber die Israeliten gingen trocken durchs Meer. So errettete der Herr an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Amen.

Liebe Ostergemeinde,

goldene Energie strömt uns auf dem neuen Parament entgegen. Sie scheint aus der Mitte zu kommen, unaufhörlich, in fließenden Ringen. Um göttliche Energie zwischen Tod und Leben geht es in den heutigen Ostertexten vom Schilfmeer und vom leeren Grab.
Drei Blicke möchte ich mit Ihnen wagen: auf das Wasser, auf den Friedhof und auf uns:

Der erste Blick: Zwischen Tod und Leben am Schilfmeer

Wir hörten soeben die Geschichte von der wunderbaren Rettung.
Das ist der Grundtext Altisraels, sozusagen die Magna Charta, von der sich ihr Selbstverständnis herleitet: aus Todesnot gerettet. Was war da vorgegangen?
Sie konnten nicht mehr, eine kleine Schar hebräischer Wanderarbeiter, in Ägypten zur Fron gezwungen. „Es ist genug, Gott!“ schrien sie. Da sah Gott Jahwe ihr Elend, erbarmte sich und berief sich Mose, um die leidende Schar aus Ägypten zu führen.
Davon erzählt die Bibel im zweiten Buch Mose. Von ihren Bitten gegenüber dem Pharao, von seiner Härte, von Plagen und vielen Umwegen. Davon, wie sie flohen und wie der Pharao zornig seine hochgerüstete Streitmacht hinter ihnen herschickte.
Dramatischer könnten die Bilder nicht sein: Vor sich das Schilfmeer, hinter sich die ägyptische Armee. Tod von vorn und Tod von hinten.
Und dann? Wir hören von einem göttlichen Engel, der mal vor, mal hinter ihnen auftauchte, von einer leuchtenden Wolkensäule und wie beide das feindliche Heer foppten. Wir hören von einem starken Ostwind, der das Meer zurücktrieb. Die flüchtende Truppe schaffte es gerade noch hindurch, die königliche Elitetruppe aber nicht. Wir hören davon, wie sie bei doppelter Todesgefahr mit dem Leben davon kamen. Und wie sie das nicht eigener Schläue oder Überlegenheit zuschrieben, sondern jener Macht, die ihr Elend sah und ihnen heraushalf.
Was sich damals an der Ostgrenze Ägyptens genau zutrug, lässt sich nicht mehr wirklich rekonstruieren. Welche Naturkonstellationen wirkten, welcher Wind, welches Leuchten… wir wissen es nicht. Aber dass sich diese Erfahrung ins kollektive Gedächtnis Israels einbrannte, das wissen wir. Gelehrte schrieben auf, was die Alten sich über Jahrhunderte weiter erzählt hatten. Immer mehr wuchs die Geschichte ins Fantastische. Doch der Kern blieb erhalten: „Gott rettete uns aus doppelter Todesnot und half uns neu ins Leben.“
(Manche Einzelheiten können wir hier nur streifen: wie die Leute ihre Wünsche jeweils auf Mose richten, ihm aber immer, wenn es brenzlig wird, Vorwürfe machen; wie sie so gern frei sein möchten, sich in Gefahr dann aber doch an die Fleischtöpfe Ägyptens zurücksehnen usw. …)
Jedes Jahr zum Passahfest erinnert sich Israel an diese wunderbare Rettung. Auch in jenen Tagen lag dies in der Luft, als Jesus starb und der Tod das letzte Wort zu haben schien.

Blick 2: Göttliche Energie am leeren Grab
(Blick zum Kirchhof)

Von Markus stammt das älteste Evangelium. Knapp und ohne Brimborium erzählt es vom Ostermorgen. Die Frauen wollten tun, was man eben an einem Toten tut und was sie wegen der Feiertagsruhe des Passafestes nicht erledigen konnten: den toten Jesus zu salben und in Leintücher zu binden. Doch dann der Schreck vor dem Felsengrab: der Stein zur Seite gerollt und drinnen nicht Jesus, sondern ein fremder Mann im weißen Gewand.
„Fürchtet euch nicht!“, sagt er zu ihnen. Und schickt sie vom Friedhof weg nach Hause, zu den Jüngern. Denen sollen sie sagen: „Er geht vor euch her.“
Sie stürzen weg, zittern und entsetzen sich – so endet das erste Osterevangelium.
Göttliche Energie am leeren Grab. Irgend etwas Gewaltiges ist geschehen.
Verströmt sich in goldener Kraft und weißer Farbe des Gewandes, greift nach ihnen, erfasst sie gegen alle Erfahrung und Angst. Strömt in sie ein.
Der wichtigste Satz dazu lautet: „Fürchtet euch nicht!“
Der zweite: „Geht, verkündigt, dass Jesus vor euch hergeht!“
Und der dritte Satz: „Dort, zu Hause, werdet ihr ihn sehen!“

Blick 3: Göttliche Energie mitten unter uns

Im Leitartikel der SZ las ich gestern: „Jeder hat wohl inzwischen eine eigene Methode gefunden, damit der Rohstoff Hoffnung nachwächst.“
In den Kirchgemeinden tun wir dies auf unsere Weise: 3000 Jahre nach der Befreiung am Schilfmeer, 2000 Jahre nach dem leeren Grab Jesu hören wir von Gottes Macht, die aus dem Tod herausreißt. Nach einem Jahr, in dem unsere Augen auf Tabellen starrten und in Krankenzimmer blickten, in dem unsere Ohren die jeweils neuen Anordnungen, Einschränkungen und Prognosen zu erfassen suchten. In dem Ängste ins Unermessliche wuchsen, manche einen geliebten Menschen und viele ihre bisherigen Sicherheiten verloren.
„Fürchtet euch nicht!“ ruft die göttliche Stimme uns von neuem zu. Durch die Jahrhunderte wirkt Gottes Kraft weiter – auch heute. Mit Energie aus Gottes Schöpfungszentrum, wie es das Parament andeutet.

Holen wir uns doch aus beiden Geschichten einen Kraftstrahl:
Hinter uns die Elbe, das Wasser: zuerst ein Kraftstrahl aus der Schilfmeer-Geschichte:
Das hebräische Völkchen hört man darin vor allem murren und maulen, selbst nachdem sie doppelt gerettet wurden. Sie wünschen sich Freiheit und scheinen doch überfordert. Später wird Gott ihnen Regeln geben, bekannt geworden unter dem Namen „zehn Gebote“.
Gottes Kraftstrahl lädt dazu ein, herauszutreten aus der Rolle des kindlichen Jammerns und pubertären Maulens und selbst Verantwortung für sich, für andere, für das Gemeinwohl zu übernehmen. Damit viele leben und überleben können. Inmitten der Pandemie kitzelt uns Gottes Kraftstrahl: „Komm heraus aus deiner Angst. Die Wellen sollen nicht über dir zusammenschlagen. Da wird Trockenes sein für deine Füße. ‚Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann’.“

Vor uns der Kirchhof: Ein zweiter Kraftstrahl trifft uns aus dem Osterevangelium:
Vom Energiefeld am leeren Grab, dort, wo die Frauen ihr letztes Werk am toten Jesus verrichten wollen, wo sie wehmütig in der Vergangenheit festhängen…
Dort erreicht sie die göttliche Stimme: „Fürchtet euch nicht! Denn er wird vor euch sein! Kehrt mutig in euren Alltag zurück. Neues erwartet euch. Ihr werdet nicht allein sein.“
Ich höre diese Botschaft für uns, zwischen all unseren Sorgen und Bemühungen, unser altes Leben festzuhalten. „Fürchtet euch nicht!“ Gott beschenkt uns neu, auch angesichts von so viel Tod und Sterben. Göttliche Kraft wird uns vorausgehen. Wird da sein, wo wir unseren Alltag zu bestehen haben. In der Sorge um erkrankte Angehörige – mit Herzinfarkt und Schlaganfall, Corona und Burn out. Im Ringen um Existenzen.
Auf der Suche nach neuer Hoffnung. Göttliche Kraft wird uns vorausgehen.

An uns ist es allerdings, unsere Augen, Ohren und Hände dafür zu öffnen und sie in uns einströmen zu lassen. (Blick auf das Parament)
Nochmals das Zitat: „Jeder hat wohl inzwischen eine eigene Methode gefunden, damit der Rohstoff Hoffnung nachwächst.“ Haben wir das?
Für vieles nehmen wir uns täglich Zeit: für’s Zähne putzen, Zeitunglesen und Nachrichten gucken. Gönnen wir uns mindestens ebenso regelmäßig die Zeit fürs geistliche Auftanken – bei Gottesdiensten oder Andachten, beim Meditieren oder Beten. Damit die Kraft nachwächst. (Blick auf die Kirche hinter mir) Christus ist auferstanden und uns den Weg vorausgegangen.
Amen