Liebe Gemeinde,

warum feiern wir Ostern?

Viele Leute – draußen auf den Wiesen – würden wohl jetzt sagen: weil die Natur zu neuem Leben erwacht… Das Frühlingserwachen ist tatsächlich wunderbar. Und tut gut.
Doch warum feiern wir als christliche Gemeinde Ostern?
Weil wir als Kinder oder Erwachsene davon gehört haben. Dass Jesus auferweckt wurde von den Toten und seinen Leuten erschien…Irgendjemand hat uns davon erzählt.
Und unseren Eltern und Großeltern vor uns auch.
In unserem heutigen Predigttext hören wir einen der frühesten Osterzeugen, Paulus.
Er schrieb an die Gemeinde in Korinth im 1. Kor. 1, 1-11:

Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr fest steht, durch das ihr befreit werdet…

Paulus erinnert sie an seine Verkündigung.

Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe:
Dass Christus gestorben ist wie es die Schrift sagt und dass er begraben worden ist;
und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift;
und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.

Paulus zitiert ein kurzes, frühes Glaubensbekenntnis:
gestorben, begraben, auferweckt, gesehen worden

Danach ist er gesehen worden von mehr als 500 Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.
Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.

Paulus nennt viele weitere Zeugen und am Ende sich selbst.

Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle;
nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
Doch gleich, ob die anderen oder ich: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt. Amen.

Liebe Gemeinde,

Als einer der ersten gibt hier der Apostel Paulus etwas weiter, was dann zur Ostererzählung wurde: Christus ist gestorben und wurde begraben; er ist auferstanden und wurde gesehen.
Historisch interessant, denn da liegt eines der frühesten Osterzeugnisse und zugleich eines der ältesten christlichen Glaubensbekenntnisse vor!
Dann zählt er viele Menschen auf, die den Auferstandenen gesehen haben.
Bis hin zu ihm selbst, Paulus. Sogar ihm erschien Christus, als er noch voller Zorn und Eifer die christlichen Gemeinden verfolgte.

Nun sind diese frühen Ereignisse für uns weit weg. Kaum mehr dienlich als Grundlage für einen Osterglauben im 21. Jahrhundert. Für viele aufgeklärte Menschen bleibt die Botschaft von der Auferstehung als phantastische Behauptung im Raum stehen.

Aber da ist ein Satz, mit dem Paulus sich selbst zeigt: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“ Hier erzählt Paulus davon, wie Ostern ihn selbst verändert hat.
Erinnern wir uns: rastlos versuchte er, das religiöse Gesetz zu erfüllen und schaffte es doch nicht. Eifrig verfolgte er diejenigen, die etwas anderes glaubten als er…
Bis schließlich sein Leben völlig verwandelt wurde: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen wurde er ein anderer Mensch.
Da berührte Ostern ihn selbst, und diese Botschaft trifft wiederum auf uns:

Auch wir stoßen immer wieder an Grenzen, sind nicht perfekt, ich ebenso wenig wie Sie. Überall spüren wir unsere Grenzen – beruflich, familiär – aber genau dort will Gott uns heilsam begegnen – wenn wir uns dafür öffnen.
Genau dort lässt Gott es weit werden und sagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen“

Paulus griff dabei auf die Erfahrungen der Osterzeugen zurück:
Was sie genau sahen oder hörten, wissen wir letztlich nicht. Aber seit ihnen der Auferstandene begegnet war, fühlten sie sich von diesen Grenzen nicht mehr bedrängt.
Sie starrten nicht mehr auf das Ende, sondern wagten einen neuen Anfang.
Sie verloren sich nicht mehr in Trauer, sondern fassten neuen Mut.
Die das erlebt hatten (die Frauen am Ostermorgen, die Jünger, dann viele auf einmal), erzählten davon und wurden so zu Osterzeuginnen und -zeugen. Und Paulus ebenso.

Liebe Gemeinde,

zwischen uns und diesen frühen Zeugnissen liegen mehr als 2000 Jahre.
Ein langer Zeitraum! Doch wunderbarerweise bezeugen auch heute Menschen österliche Erfahrungen. Gerade an jenen Grenzen, die wir besonders spüren: Geburt und Tod.
Und so möchte ich mit Ihnen gemeinsam zunächst auf diesen Taufstein blicken und danach auf die Grabsteine rings um die Schifferkirche. Und dabei die Stimmen von 2 Osterzeugen zu Wort kommen lassen:

Blicken wir zunächst auf den Taufstein:
Heute wurde Gloria hier getauft.

Noch kann Gloria nichts selbst dazu sagen, aber mit ihrer Mutter konnte ich sprechen.
„Als ich selbst getauft wurde, war es wie ein Ankommen in einer guten Heimat“, sagten Sie. – Und welch ein Glück für Sie und die Familie ist das Gottesgeschöpf Gloria.
Dass Sie schon während der Schwangerschaft göttlichen Schutz über Glorias Leben spürten, erzählten Sie. Und dass Sie das Geschenk, glauben zu können, auch Ihrer Tochter wünschen. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“, bekannte Paulus, nicht aufgrund meiner Leistung. Martin Luther hielt deshalb die Kindertaufe besonders hoch: Dieses kleine Wesen ist einfach da, von Gott geliebt, noch ohne eine besondere Leistung vorzuweisen. Gottes Gnade ermöglicht auch eine Zukunft für Gloria. Zwar gehört auch zu ihrem Leben der Tod. Doch Ostern weitet die Grenzen. Paulus sagt im Römerbrief: wir werden mit Christus in seinen Tod getauft, aber mit ihm auch auferstehen. Christus hat die Mauer des Todes durchbrochen und nimmt uns mit auf diesem Weg.

Und so geht der zweite Blick hinaus auf die Grabsteine rings um diese Kirche. So manche Inschrift erzählt vom Ostergauben. Und manches Symbol.

Als stellvertretenden Osterzeugen aber möchte ich meinen Großonkel Christoph Sehmsdorf nennen. Er starb nach kurzer schwerer Krankheit Ende Februar in der Niederlausitz.
Mit seinen Worten und Predigten, mit seinem Wirken für einen tansanianischen Kindergarten u.a. mehr erzählte sein Leben viel von Gottes Gnade.
Reichlich ein Jahr vor seinem Tod setzte er sich ausführlich mit dem Sterben auseinander. Und schrieb ein Gedicht, aus dem ich die ersten drei Strophen zitieren möchte:

„Gevatter Tod,
bald werd ich dir begegnen, doch bald ist eine unbestimmte Zeit. Es kann schon morgen sein, vielleicht auch nächstes Ostern, wie lange noch, jedoch, ich bin bereit.
Gevatter Tod, wenn wir uns wo begegnen, dann hoff ich,
Gott wird Zeit und Stunde segnen und auch die Zeit, die mir bis dahin noch verbleibt.
Und liebend seine Hände halten über die Seele, meinen Geist und Leib.
Gevatter Tod, du bist gewiss und zuverlässig und kommst ganz ungefragt zu jedermann.
Das ist die wahrhaft wirklich große Wende, dass aus Vergänglichkeit in neues Leben,
in Gottes Ewigkeit ich wechseln kann…“

(Dazu noch Strophe 10)

„Und Himmel ist nur Code dafür „Du bist willkommen“ in seiner unerschöpften Schöpfermacht. Der Code gilt vielen und nicht nur den Frommen. Der Schöpfer lässt sein Werk ja nicht verkommen. Auch Du und ich, wir sind da mitgedacht.“

Gesungen wurde auf seinem Begräbnis u.a. „Ich will singen von der Gnade des Herrn“. – Wie passend zur Botschaft des Paulus von göttlicher Gnade selbst im Tode.
So wurde mir mein Großonkel mit seinem Leben und Sterben zum Osterzeugen.
Er starb im Vertrauen auf Gottes Gnade. Diese Gnade bleibt uns.
Sie verblüht nicht wie irgendwann die Osterglocken oder Magnolien.

Liebe Gemeinde,

darum feiern wir Ostern:
Weil wir eingeladen sind, zwischen Taufstein und Grabsteinen das Leben zu feiern.
Mit Posaunen und Trompeten. Leben, das nicht mehr vom Tod begrenzt ist.
Und weil wir selbst Osterzeuginnen und -Zeugen sind –
Auch uns zeigt Gott, dass von Ostern her das Leben siegt.
Und wenn wir diese Gewissheit in die Welt hineintragen, dann wird Ostern.

Amen


Anlage zur Predigt:

Gedicht meines Großonkels Christoph Sehmsdorf,
freigegeben von seiner Witwe Johanna Sehmsdorf am 15.4.2023

Gevatter Tod, bald werd ich dir begegnen, doch bald ist eine unbestimmte Zeit.
Es kann schon morgen sein, vielleicht auch nächstes Ostern,
wie lange noch, jedoch, ich bin bereit.

Gevatter Tod, wenn wir uns wo begegnen, dann hoff ich,
Gott wird Zeit und Stunde segnen und auch die Zeit, die mir bis dahin noch verbleibt.
Und liebend seine Hände halten über die Seele, meinen Geist und Leib.

Gevatter Tod, du bist gewiss und zuverlässig und kommst ganz ungefragt zu jedermann.
Das ist die wahrhaft wirklich große Wende, dass aus Vergänglichkeit in neues Leben,
in Gottes Ewigkeit ich wechseln kann.

Über die Ewigkeit will ich nicht spekulieren und was man sich darunter denken kann.
Als ich ins Leben trat, was wusste ich vom Leben und fing es wohlgemut und fröhlich an. Ob ich heut mehr vom Leben sagen kann?
Doch eines weiß ich: jeder hat sein eignes und das entzieht sich gültigem Vergleich.

Es ist und bleibt für jeden stets ein Wagnis, das gilt, und wärst du noch so klug und reich. Vor dir, Gevatter Tod, sind alle gleich.
So mancher scheut sich vor dem Himmelreiche, weil’s da so langweilig und menschenfremd; an jedem Morgen nichts als Psalmen singen,
ab Mittag dann die Halleluja-Chöre, die alte Leier, die man zur Genüge kennt.

Komm nur in Gottes Nähe, dann beginnt das Wundern.
Der Mund wird dir vor Staunen offen stehn. Und Überraschungen wie eine Symphonie,
wie Feuerwerk aus Gottes Phantasie und Zeichen, die noch niemals war‘n gesehn.

Sieh dich nur um auf der vertrauten Erde; vom großen Wal, dem mächt’gen Elefant
hin zu dem Reich der winz’gen Zwerge, Protonen, Vitamine, böse Viren;
das allermeiste bleibt uns unbekannt.

Und schau hinauf zu Sternen und Planeten, zu schwarzen Löchern, fernen Galaxien.
Wer weist denn denen Bahnen, Takt und Zeiten bis hin zu Astroiden und Kometen.
Wer übertrifft des Schöpfers Phantasien?

Und Himmel ist nur Code dafür „Du bist willkommen“ in seiner unerschöpften Schöpfermacht. Der Code gilt vielen und nicht nur den Frommen. Der Schöpfer lässt sein Werk ja nicht verkommen. Auch Du und ich, wir sind da mitgedacht.

Gevatter Tod, begnüg dich mit uns Alten und lass den Kindern mit den Eltern ihre Zeit, damit sie lernen ehrlich Hände falten und hilfreich nutzen auch bei fremdem Leid.
Auf dass sie einst für Gottes Ruf bereit.

Christoph Sehmsdorf
Wiese im Juni 2021