Eine Jahreslosung ist ein Satz aus der Bibel. Der soll uns das ganze Jahr begleiten. Ihr könnt ihn bei Lukas Kapitel 6, Vers 36 lesen. Die Worte sagte Jesus den Menschen:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“:
Im Wort „barmherzig“ steckt das Herz drin.
barmherzig –
Wie soll etwas sein?
Wie soll etwas geschehen?
Wie soll etwas gemacht werden?
mit Herz –
liebevoll, aufmerksam, verzeihend, gütig, verständnisvoll…
Seid barmherzig:
Wieder eine neue Aufgabe? Wo es doch schon so viel zu tun gibt.
Ist das zu schaffen?
Es geht gar nicht darum, dass wir uns viel vornehmen müssen. Jesus sagt etwas über Gott. Wie ist Gott? Ist er nahe oder fern, stark oder schwach, gerecht oder ungerecht, herzlos oder barmherzig? „Gott ist barmherzig“, behauptet Jesus.
Es gibt in der Bibel verschiedene Texte, die von der Barmherzigkeit Gottes erzählen. Manchen von euch ist die Geschichte von dem Vater und den beiden Söhnen sicher bekannt. Sie ist in vielen Kinderbibeln zu finden. Oft trägt sie die Überschrift: „Vom verlorenen Sohn“.
Jesus erzählt: „Ein Mann hatte zwei Söhne …“ (zu lesen bei Lukas 15,11-31)
Ich habe die Geschichte für euch so aufgeschrieben, als säßen wir dem jüngeren Sohn gegenüber und hörten ihm zu. Der jüngere Sohn erzählt:
„Ach, die Schweine haben es gut. Die bekommen reichlich Futter und dürfen herum laufen. Ich dagegen habe Hunger. Mir knurrt der Magen. Ich würde auch Schweine-
futter essen, aber das ist mir nicht erlaubt. Ich darf nur die Schweine hüten. Für diese Arbeit gibt mir der Besitzer so wenig, dass ich mich nicht einmal satt essen kann.
Eine andere Arbeit wäre gut, aber ich finde keine. In diesem Land herrscht jetzt eine Hungersnot. Viele Leute haben selbst nur wenig, müssen sparen. Sie versuchen die eigene Familie mit dem Nötigsten zu versorgen.
Ich habe auch eine Familie: einen Vater und einen älteren Bruder. Aber ich verließ mein Zuhause. Ich wollte mal etwas Neues, Aufregendes erleben. Auf meines Vaters Hof ging es uns gut. Aber ich hatte es satt, mit meinem Bruder zu arbeiten. Es war immer das Gleiche, deshalb forderte ich von meinem Vater den Erbteil, den ich eigentlich erst nach seinem Tod bekommen würde. Er gab mir das Geld und ich bin losgezogen. War das herrlich, so frei und ohne Sorgen zu sein.
In der nächsten größeren Stadt suchte ich mir ein schönes Gasthaus. Ich musste ja nicht sparen. Ich lernte neue Leute kennen und konnte sie herzlich zum Essen und Trinken einladen. Schnell wurden sie meine Freunde. Ich war beliebt. Wir feierten viele Feste. Doch dann war mein Geld plötzlich alle. Daran hatte ich nie gedacht.
Meine Freunde verließen mich. Sie wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. Der Wirt warf mich aus dem Gasthaus, weil ich die Rechnung nicht bezahlen konnte.
Nun sitze ich hier bei den Schweinen. Lange halte ich das nicht mehr aus. Wenn ich an meinen Vater denke, so weiß ich, dass keiner seiner Diener, Mägde oder Knechte so arm leben muss. Warum bin ich nicht geblieben? So wie ich jetzt aussehe, kann ich nicht zurück. Ich habe das ganze Erbe ausgegeben. Ich bin doch kein Sohn mehr.
Aber vielleicht kann ich als Knecht auf dem Hof arbeiten. Hier halte ich es nicht mehr aus. Ich gehe jetzt los.
Einige Tage vergehen bis ich in der Ferne das Haus meines Vaters sehe. Es ist seltsam. Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder weinen. Was wird mein Vater tun? Ich laufe einfach weiter, denn es ist meine letzte Chance. Da kommt mir jemand entgegen, die Arme weit ausgebreitet. Ist das nicht …? Ja, das ist mein Vater. Ich bin so überrascht. Er umarmt mich. Ich sehe die Freude in seinem Gesicht. Er begrüßt mich so herzlich. Und ich, ich muss ihm sagen, dass das ganze Erbe vertan ist, dass ich vieles falsch gemacht habe. Ich kann nicht mehr der Sohn sein. Aber er schaut mich nur liebevoll an und führt mich nach Hause. Die Diener kommen und bringen mir ein neues Gewand, Schuhe und einen besonderen Ring. Ein Fest wird vorbereitet. Mein Vater zeigt allen, dass er sich über meine Heimkehr freut. Das habe ich nicht erwartet. Ich bin sein Sohn. Ich bin wieder zu Hause.
Mein großer Bruder hält sich abseits. Er ist verärgert und kann den Vater nicht verstehen. Warum dieses Fest? Ich bin ja selbst überrascht. Mein Vater verzeiht mir.
Es ist wunderbar zu erleben, das ich neu anfangen darf. Ich bin geliebt und geachtet.“
Barmherzigkeit ist keine Leistung, da müssen wir nichts tun. Barmherzigkeit wird uns von Gott geschenkt. Übrigens hat diese Geschichte auch eine andere Überschrift, nämlich: „Der barmherzige Vater“. Jesus hat die Geschichte erzählt, um zu zeigen: So wie der Vater in der Geschichte seinen Sohn freudig umarmt, so freut sich Gott über jede und jeden von uns, über Klein und Groß, Jung und Alt. Gott verzeiht, wo etwas schief gelaufen ist. Wir können ihm das anvertrauen. Er wartet auf uns in Liebe und Geduld.
Wer Gottes Barmherzigkeit erlebt, der bekommt ein weites Herz. Seid barmherzig, so beginnt die Jahreslosung. Es geht nicht darum ganz Großes zu tun, so wie Gott, sondern, dass wir in unserem Alltag neue Möglichkeiten entdecken: Wo können wir liebevoll mit anderen sein? Kann ich verzeihen oder bleibt es beim Streit? Will ich mit dem anderen reden? Ist Nachgeben feige oder eher eine Stärke?
Euch fallen bestimmt noch mehr Beispiele ein.
Eine schöne Geste ist es, ein Herz mit den Händen zu formen.
Durch dieses Herz auf den anderen zu schauen, kann schon eine
Veränderung bringen, ist ein Zeichen der Barmherzigkeit.
Andrea Beuchel (Gemeindepädagogin in Hosterwitz)
(Bildrechte: Andrea Beuchel)